Magische Quadrate

p-v1-1030679-Plakat-Magische-QuadrateBuchstaben gießen das gesprochene Wort in eine Form, machen es sichtbar und verleihen ihm buchstäblich das, was der mündlichen Überlieferung nur sehr mühsam abzuringen ist: Dauer. Buchstabe für Buchstabe bauen sich Worte auf, werden Worte zu Wortgruppen verbunden, Wortgruppen zu Sätzen verknüpft und Sätze zu Texten, die unveränderlich wieder und wieder abrufbar sind. Das einzelne Graphem ist in diesem Strom der Zeichen ebenso unverzichtbar wie unsichtbar. Als Teil eines größeren, sinntragenden Ganzen wird es in seiner eigentlichen Gestalt kaum wirklich gesehen, wird mehr erahnt als differenziert wahrgenommen. Und auch im Materialisieren von Sprache – sei es handschriftlich oder mittels Fingerdruck auf Touchscreens oder Tastaturen – tritt die Gestalt des einzelnen Buchstabens im Allgemeinen in den Hintergrund. Gut ist, was lesbar ist, Funktion geht vor Form.
Das vom Kunstwestthüringer e.V. initiierte Buch- und Ausstellungsprojekt „Magische Quadrate“ kehrt diese Alltagslogik um und führt bildende Kunst und Zeichentheorie von A bis Z zusammen. In alphabetischer Reihenfolge werden die einzelnen Buchstaben künstlerisch be- und verarbeitet: ein Buchstabe – ein Künstler. Ein Thema – 26 individuell verschiedene künstlerische Lösungen. So gerät das Alphabet als konventionell anerkanntes Ordnungsprinzip von Sprachzeichen zum Ausgangspunkt für Experiment und Stilpluralismus, bei dem narrativ figurative Fabulierfreude auf konkret verknappte Formkonzentration trifft, typographische Collage auf filigrane Kaligraphie, das assoziative Spiel mit Bedeutungen auf die Isolation einzelner Buchstaben aus ihrer vertrauten Zeichenumgebung.
Verbindend bleibt der Entzug des gewohnten Buchstabierens und Decodierens. Losgelöst aus ihrem funktionellen Kontext werden die Buchstaben unmittelbarer Teil des Bildgeschehens, werden zu Hauptakteuren erhoben oder aber zu Mitspielern größerer formaler und inhaltlicher Zusammenhänge. Das macht die „Magischen Quadrate“ zu einer Magie für das ästhetisch sehende Auge, das hier einmal Vorrang hat in der Bewertung eines A, B oder C, ehe der Verstand einen Sinn zuzugeben versucht und das Gesehene der üblichen Lese-Route übergibt.

Susann Ortmann

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